Beim Stichwort «Quer» denken viele ans TV-Magazin mit Röbi Koller und nur wenige an Sportler, die im Winter auf Rennrädern durch schlammige Wiesen pflügen. Dabei mausert sich dieser anachronistisch anmutende Sport gerade zum technischen Vorreiter.
Als die Schweizer in Gestalt von Albert Zweifel, Peter Frischknecht oder Dieter Runkel noch in der Radquer-Weltspitze mitmischten, glichen die Rennen meist einer kruden Mischung aus Schlammbad und Darwinismus. Im knöcheltiefen Schlamm war Laufen mit geschultertem Renner oft die schnellste Variante. Seither haben sich die Strecken aber gewandelt, wodurch das Durchschnittstempo markant gestiegen ist. Geblieben ist die Renndauer von rund einer Stunde, während der mit maximaler Intensität gefahren, über Hindernisse gehüpft oder die Treppen hoch gerannt wird. Das alles gut einsehbar fürs Publikum, das so voll auf seine Kosten kommt.
Auch die Sportgeräte sind kaum wieder zu erkennen: Waren früher erschwingliche Stahl- oder Aluminiumrahmen die Regel, ist heute Carbon das Material der Wahl. Und zwar nicht nur für den Rahmen, sondern auch für Gabeln und Felgen. Ausgerechnet bei den Bremsen ist jedoch alles beim Alten geblieben, trotz der höheren Tempi auf modernen Strecken: Cantilever-Bremsen sind noch immer die Regel – quasi der Grossvater heutiger Rennrad-Felgenbremsen. Aber das dürfte sich ändern, denn der Weltradsport-Verband UCI hat das Reglement modifiziert. Neu sind nun Scheibenbremsen im Radquer zugelassen.
Noch tun sich die Rennfahrer schwer damit: Bei den Rennen in Europa sind bisher kaum Fahrer aufgetaucht, die auf die neue Bremstechnik setzen. Anders sieht das in den Vereinigen Staaten aus, wo der Quersport gerade eine veritable Blüte erlebt. Da wurden schon erste Rennen der nationalen Rennserie auf einem Rennrad mit Scheibenbremsen gewonnen. Und zwar mit einer Bremse, die so schon seit Jahren auf dem Markt ist und per Kabelzug angesteuert wird. Solche mechanischen Scheibenbremsen weisen gegenüber voll hydraulischen Systemen einige Nachteile auf: Wenn Nässe und Dreck in die Aussenhüllen gelangt, steigt die Reibung im System – und die feine Dosierbarkeit der Bremsleistung geht verloren.
Das Problem beim Rennrad ist, dass Brems- und Schalthebel in einer Einheit stecken. Dies schränkt die Entwickler ein, wenn es um die Integration eines Geberzylinders geht. Schon vor Jahren präsentierte der St. Galler Scheibenbrems-Pionier Bob Sticha dafür eine bestechend simple Lösung: Er zerlegte kurzerhand Mountainbike-Bremshebel und montierte deren zwei Hydraulik-Kolben unter dem Lenker. Angelenkt wurden diese von den Bremshebeln her über handelsübliche Bremskabel. So liessen sich die ergonomischen Vorteile kombinierter Brems- und Schalthebel mit den funktionellen Vorteilen hydraulischer Scheibenbremsen kombinieren.
Bloss: Noch gab es kaum Rennrad-Rahmen und –Gabeln, die für die Montage von Bremszangen geeignet waren, und auch passende Radnaben mit Aufnahmen für die Bremsscheiben waren Mangelware. Sticha, der sich mittlerweile zur Ruhe gesetzt hat, war seiner Zeit um Jahre voraus. Jetzt aber werden Scheibenbremsen auch an Rennrädern zu einer ernst zu nehmenden Alternative: An der weltgrössten Fahrradmesse waren im vergangenen Herbst Quer-Renner mit Scheibenbremsen an den Ständen verschiedener Hersteller zu entdecken. Und auch Stichas Idee, Seilzug in hydraulischen Druck umzuwandeln, ist vom taiwanesischen Hersteller TRP zur Serienreife vorangetrieben worden.
Nun sind die grossen Hersteller von Brems- und Schaltsystemen gefragt, denn das eigentliche Ziel muss ein vom Bremshebel bis zur Bremszange geschlossenes, hydraulisches System sein. Erst damit kommen die Vorteile von Scheibenbremsen voll zur Geltung: Die Bremsleistung ist bei Trockenheit wie bei Nässe konstant hoch und lässt sich fein dosieren, und Nässe und Schlamm können Hydraulikleitungen wenig anhaben. Weiter haben Scheibenbremsen den Vorteil, dass man zwecks Verzögerung nicht an tragenden Teilen des Fahrrades rumschleifen muss. Gerade Carbonfelgen eignen sich denkbar schlecht als Reibungspartner für Bremsbeläge, und schon der geringste Seitenschlag führt zu Problemen. Dem steht als einziger echter Nachteil ein etwas höheres Gewicht entgegen.
Auf Grund all dieser Vorteile ist zu erwarten, dass Scheibenbremsen vom Quersport her auch den Sprung an die Rennräder der Strassenprofis finden werden. Und dass damit aus einem oft anachronistisch wirkenden Sport ein Vorreiter in Sachen neuer Technologien wird. Neben Bob Sticha wird das einen weiteren Pionier in der Schweiz besonders freuen: Dietmar Putzas, der in Zofingen ein Fahrrad-Fachgeschäft betreibt und mit seiner Eigenmarke DBikes voll auf Rennräder mit Scheibenbremsen setzt.
Laurens van Rooijen (*1973) wagte sich erstmals 1990 mit einem Fahrrad ins Gelände – und kam danach nicht mehr davon los. Seit 2000 als Journalist in Sachen Fahrrad unterwegs, zunächst als Redaktor der Zeitschrift «Move», ab Ende 2004 als freischaffender Fahrrad-Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und Web-Portale. Fährt alles, was zwei Räder, keinen Motor und vernünftige Bremsen hat.